Impulse für Innovationen müssen im Vertrieb auf fruchtbaren Boden fallen, um Wirkung zu erzielen. Die Coronakrise zeigt, dass Resilienz, also die Stressanfälligkeit und Erholungsfähigkeit einer Organisation oder Person, eine bedeutende Rolle für die Innovationskraft des Vertriebs spielt.
Um im heutigen anspruchsvollen Marktumfeld erfolgreich zu sein, ist ein hoher Innovationsgrad im Vertrieb zwingend notwendig. Innovation im Vertrieb zeigt sich dabei in zwei Dimensionen: Zum einen werden neue Vertriebsmodelle und -methoden genutzt, um Kunden- und Marktpotenziale besser auszuschöpfen. Typische Beispiele waren in der Vergangenheit die Einführung von Key Account Management, das Nutzen alternativer Vertriebskanäle (wie Onlinehandelsplattformen) oder das Entwickeln neuer Preismodelle (zum Beispiel Flatrates). Heute sind beispielsweise hybride Vertriebsansätze wie die digitale und persönliche Kundenbearbeitung eine aktuelle Vertriebsinnovation.
Zum anderen ist ein hoher Innovationsgrad des Vertriebs am konkreten Denken und Handeln der Mitarbeiter zu er- kennen. Innovativer Vertrieb bedeutet dann, Trends offen zu begegnen, das eigene Handeln konsequent zu hinterfragen sowie agil auf sich verändernde Situationen zu reagieren.
Voraussetzungen für einen innovativen Vertrieb
Ausgangspunkt für Vertriebsinnovationen sind häufig externe Veränderungen. So motiviert ein zunehmender Wettbewerbsdruck durch neue Marktteilnehmer (wie Amazon oder Alibaba im Handel) Vertriebsorganisationen, sich neu auf- zustellen. Auch das Erkennen von Chancen in noch nicht bearbeiteten Segmenten (zum Beispiel Endverbraucher anstatt nur Vermittler) kann Neuerungen oder ein Umdenken im Vertrieb anstoßen. Es geht darum, Impulse von außen wahrzunehmen und in die Organisation zu tragen.
Entscheidend ist, den Veränderungsdruck positiv zu kanalisieren, was gerade in der Coronakrise einigen Unternehmen besser gelang als anderen.
Ist der Vertrieb durch Offenheit gegenüber Neuem, eine positive Fehlerkultur und Durchhaltewillen bei Rückschlägen gekennzeichnet, fällt der von außen kommende Innovations-impuls auf fruchtbaren Boden. Dann erkennen die Mitarbeiter im Vertrieb die Chancen, suchen neue Vertriebsansätze und verbessern den Vertrieb durch Innovationen.
Entscheidend ist, den Veränderungsdruck positiv zu kanalisieren, was gerade in der Coronakrise einigen Unternehmen besser gelang als anderen. Beobachtungen zur Vertriebsresilienz zeigen, dass es bei der Wahrnehmung von Chancen insbesondere auf eine „Stehaufmännchen-Mentalität“ der Mitarbeiter ankommt.
Vertriebsresilienz stärken
Doch wie stärkt man die Resilienz einer Vertriebsorganisation? Wie schafft man es, dass Vertriebsleitung und -mitarbeiter nach kurzer Paralyse, wie sie die meisten zu Beginn der Coronakrise 2020 verspürten, schnell wieder in die Erfolgsspur zurückfinden? Und wie optimiert man nachhaltig die Stressbewältigungs- und Erholungsfähigkeit einer Vertriebsorganisation und richtet damit den Vertrieb innovativ aus?
Die Abbildung zeigt Ansatzpunkte auf den drei Gestaltungsebenen Struktur, Verhalten und Kultur, um eine Krise zu überwinden.
Resiliente Strukturen schaffen
Geografische Kundennähe, eine ausgewogene Balance der Kundenbeziehungen, Diversifikation und Skalierbarkeit des Vertriebs schaffen Strukturen, die widerstandsfähig gegen Stress und Krisen sind. In Ausnahmesituationen gelingt es gerade mit einer dezentralen Organisationsstruktur mit agilen, autonomen Zellen, den direkten Kontakt zum Kunden aufrechtzuerhalten. Zum Beispiel zeigte sich in der Coronakrise bei einem auf Sekundärverpackungen für Luxusartikel spezialisierten Unternehmen, dass lokal gestärkte Vertriebs- und Produktionsstrukturen ein überzeugendes Verkaufsargument für global aufgestellte Großkunden darstellen.
Resiliente Vertriebsorganisationen sind sich der kritischen Auswirkungen einer zu starken Konzentration auf nur wenige Key Accounts bewusst und stützen ihr Geschäft auf einer breiten und balancierten Kundenbasis ab. Diese Breite wird auch durch Diversifikation in unterschiedliche Kundensegmente erreicht. So konnten zahlreiche Hersteller von Werkzeugen und Bauzubehör durch die Bearbeitung der Segmente „Handwerker“ und „Heimwerker“ auch in der Krise erfolgreich sein. Während Handwerker aufgrund der Lockdowns als Kunden ausfielen, konnte mit den Heimwerkern Zusatzgeschäft generiert werden.
„Dramatische Umsatzeinbrüche bringen Vertriebsorganisationen mit hohen Fixkosten an die Grenzen.“
In der Krise zählt Flexibilität. Das Denken in Szenarien und ein konsequentes Streben nach Skalierbarkeit der Vertriebsorganisation und Variabilität der Vertriebskosten führt zu einer bewussten Mischung aus fixen Strukturen und variablen Netzwerken.
Resilientes Verhalten fördern
Neben den richtigen Strukturen ist vor allem das Verhalten in einer Krisensituation selbst entscheidend für die Resilienz einer Vertriebsorganisation.
Gerade in unsicheren Zeiten hat das Vertrauen eine herausragende Bedeutung. Dieses Vertrauen basiert auf Präsenzund Sichtbarkeit, Zuverlässigkeit und tatkräftiger Unterstützung sowie maßgeschneiderten Problemlösungen. In der Coronakrise muss mit hybriden Vertriebslösungen das richtige Maß aus den heute vielfältigen virtuellen Möglichkeiten des direkten Kundenkontakts (Digital Sales) und der persönlich verbrachten gemeinsamen „Quality Time“ in persönlichen Gesprächen gefunden werden. Dabei setzen resiliente Organisationen ihre Vertriebsressourcen gezielt und effizient ein. Das Betreuungsbedürfnis der Kunden wird damit zu einem wichtigen zusätzlichen Segmentierungskriterium für den effizienten Vertriebseinsatz und steigert die Betreuungseffizienz. Entscheidend ist es, die Präferenzen der Kunden explizit zu berücksichtigen.
„Die Stehaufmännchen-Mentalität lässt sich systematisch auf struktureller, verhaltensorientierter und kultureller Ebene fördern.“
In Krisenzeiten ist es besonders wichtig, konsequent zu handeln. Hatte in guten Zeiten Wachstum Priorität, war es zugleich leicht, sich vor unpopulären Entscheidungen, wie dem kritischen Hinterfragen der Relevanz bestimmter Kundengruppen, Märkte oder Vertriebsbereiche, zu drücken.
Krisen bieten sich dafür an, ohne Tabus Fragen zu stellen. Man erhält die Chance, alte Zöpfe abzuschneiden und notwendige Veränderungen durchzusetzen.
Resilienz durch eine „Yes-we-can“-Kultur im Vertrieb verankern
Basis für Krisenfestigkeit und die Erholungsfähigkeit einer Vertriebsorganisation ist eine „Yes, we can“-Kultur. Diese Kultur des positiven Denkens beeinflusst Vertriebsmitarbeiter und -führungskräfte in ihrem Handeln und prägt den resilienten Vertrieb.
Dabei ist die Vertriebsleitung besonders gefordert, brauchen Mitarbeiter doch gerade in Krisenzeiten Ermutigung und Motivation. Ein empathisches Verhalten der Vertriebsleitung, das Mitarbeitern gleichermaßen Sicherheit und Orientierung vermittelt, ist Schlüssel zum Erfolg.
Fazit: Nur eine resiliente Vertriebsorganisation ist innovativ. Die Stehaufmännchen-Mentalität lässt sich systema- tisch auf struktureller, verhaltensorientierter und kultureller Ebene fördern. Die untersuchten Merkmale resilienter Vertriebsorganisationen geben wichtige Hinweise in Bezug auf elementare Fragen des Vertriebserfolgs:
- Durch lokale Kundennähe und hybriden Vertrieb lässt sich der Kontakt zu Kunden gerade in Krisenzeiten auf- rechterhalten.
- Intensive Kundenbeziehungen basieren besonders in der Krise auf Balance und Vertrauen.
- Ein wirkungsvoller Ressourceneinsatz lässt sich mit einer effizienten Kundenbetreuung und bewusster Diversifikation erreichen.
- Durch Skalierbarkeit und Konsequenz in der Vertriebsorganisation kann die Krise dazu genutzt werden, notwen- dige Veränderungen umzusetzen.
Darüber hinaus stellt eine positive Unternehmenskultur übergreifend die Basis für eine resiliente Vertriebsorganisa- tion dar. Das Fördern der Vertriebsresilienz, lange bevor eine Krisensituation Stress auslöst, sowie das richtige Agieren in der Krise selbst ermöglichen es einer Organisation, die Innovationskraft des Vertriebs zu steigern und nach Corona neu durchzustarten.
Der Text ist am 18.03.2021 als Titelbeitrag "Mit resilienten Strukturen Krisen überwinden" in der renommierten deutschen Fachpublikation "Sales Excellence" erschienen.
Dr. Markus Müllner ist als Dozent, Autor und Führungscoach tätig und hat verschiedene Vertriebsführungspositionen in Industrie und Beratung bekleidet. Dr. Thomas Klumpp leitete internationale Marktorganisationen. Ihre Vertriebsexpertise nutzen sie in gemeinsamen Projekten zur Vertriebseffizienz und zur Vertriebsresilienz.